Die Prüfung

Zwei Tage vor Silvester, wir haben die letzten Besorgungen gemacht und dachten wir tun uns und unseren beiden Hunden etwas Gutes, nutzen das schöne Wetter um einen ausgedehnten, entspannten Spaziergang zu machen. Die Feiertage, von vornherein immer permanenter Stress, waren dieses Jahr durch ein negatives Ereignis spezieller als sonst. Der Großvater meiner Frau ist einen Tag vor Heiligabend gestorben. Diese Tatsache an sich hat uns weniger getroffen, da wir schon mehr oder weniger darauf vorbereitet waren. Trotzdem muss man, bei aller Vorbereitung auch, solch eine Situation verarbeiten, da es ja dann immer noch überraschend kommt. Nun haben wir versucht, uns die Feiertage über, mit der Situation zu „arrangieren“ und uns um die dazugehörige Großmutter und den Rest der Familie zu kümmern und da zu sein. Es war nicht einfach - logisch, wann ist sowas schon einfach - aber wir haben die Tage überstanden und konnten uns für einen Tag ausklinken, damit wir Zeit nur für uns hatten.

Im Moment der Ruhe bemerkten wir dann, dass wir gar nicht an die Variante Alkohol dachten. Noch vor ein paar Jahren hätten wir die Tage ganz anders erlebt. Vielleicht wären wir dann auch stärker gewesen, noch stärker als ohnehin schon, dafür aber auch total benebelt oder gar einsatzunfähig. Wir hatten aber nicht mal den Berühmt berüchtigten Saufdruck (Gott sei Dank). Also waren wir guter Dinge und begaben uns in die letzte Woche des Jahres und dachten, dass es schlimmer nicht kommen kann.

Dachten wir! Es kam schlimmer. Es sind zwei Tage bis Silvester und wir sind nun spazieren, als dieses Ungetüm von Rottweiler auf dem Hügel stand und sich überlegte, welchen unserer Hunde er als Erstes verspeisen sollte. Wir waren geschockt, wer wohl nicht, und konnten gar nicht schnell genug reagieren. Gerade so, dass meine Frau unseren Kleinen hochnehmen konnte, hing die Bestie schon an mir und unserer Großen. Ich trat auf den Riesen ein, auf den Kopf und den ganzen Leib, nichts half und er bekam die Große zu fassen und riss sie aus dem Hundegeschirr. Meine Frau schrie wie am Spieß, unser Hund schrie und trat immer noch wie besinnungslos auf den Rottweiler ein. Von der Besitzerin des Angreifers keine Spur, man hörte sie nur rufen: „Jenny!“.

Zum Glück gab es einen beherzten Helfer, der in der Nähe stand, die Situation verfolgte und sich den Rottweiler schnappte und uns vor ihm rettete. Wie in Trance suchten wir das Weite und sahen zu, dass wir zum Tierarzt kamen. Es sah schlimm aus, aber unsre Gute war tapfer und hat den Angriff geradeso überlebt. Und wieder haben wir festgestellt, dass wir gar keinen Alkohol zum Verarbeiten des Erlebten brauchten.

Und nun? Nun können wir auch etwas sehr Positives aus all dem Erlebten mitnehmen. Durch die permanente Arbeit an uns und unserem Stellen der Alkoholkrankheit, die wir haben, sind wir zu starken Menschen geworden, die nicht gleich einen Schluck brauchen, um stark zu sein. Wir müssen uns nicht mit Alkohol belohnen(schon lange nicht mehr), wir brauchen auch keinen Alkohol mehr, um uns Sorgen und Kummer von der Seele zu trinken. Hilft ja eh nicht, wissen wir.
Somit können wir in dieser Beziehung in ein beruhigtes neues Jahr schauen und sind diesbezüglich guter Dinge. Geht aber auch nur, wenn wir uns weiter mit dem Thema so beschäftigen, wie bisher. Was wir auch tun werden und vor allem anderen Betroffenen empfehlen:“ Vergesst nie eure Krankheit und arbeitet immer daran, damit ihr zufrieden trocken sein könnt!“

Passt auf euch auf!

René Pietzsch

Grundausbildung zum ehrenamtlichen/betrieblichen Suchtkrankenhelfer

Wie bereits angekündigt, habe ich mich dazu entschlossen, die Grundausbildung zum ehrenamtlichen/betrieblichen Suchtkrankenhelfer zu machen. Den ersten Teil habe ich nun erfolgreich hinter mich gebracht und bin überwältigt. Ich dachte ich weiß schon viel zu den Themen Sucht und Suchthilfe, aber was ich bei dem Kurs alles mitbekommen habe, war beeindruckend. Ein Dankeschön an das "Blaue Kreuz", dessen Veranstalter (Sigurd Kasischke, Reinhard Lahme und Jürgen Naundorff) und auch die Dozenten (Stefan Bode und Wolfgang Wetzel) sehr kompetent und professionell mit uns arbeiteten, wir aber trotz alledem nicht das Gefühl von Schule oder gar von pauken müssen hatten. Dazu die wundervollen Kursteilnehmer, welche aus den unterschiedlichsten Bereichen der Suchthilfe kommen und den Kurs, jeder durch seine eigenen Erfahrungen, bereicherten. Ich bin schlichtweg begeistert und freue mich schon auf Teil 2 im Februar.

 

René Pietzsch

Die totale Ignoranz

Ich schreibe dies nicht, weil mich die folgende Begebenheit sonderlich aufregt. Mir geht es nur darum, mein Erlebtes aufzuarbeiten, für mich gedanklich einzuordnen und auch zum Ausdruck zu bringen, wie in der Gesellschaft mit dem Thema Alkohol umgegangen wird. Für meine Begriffe überhaupt nicht. Eine Erkenntnis, die ich schon lange habe, mich aber immer wieder aufs Neue überrascht und verwundert.
So war es, dass ich am letzten Sonntag mit meiner Familie zum Essen ausging. Mein Vater lud zum Brunch ins "Best Western" Hotel in Plauen ein, wir waren guter Dinge und freuten uns auf leckere Schlemmereien. Als wir an den Tisch kamen, sahen wir einen sehr noblen, professionell gedeckten Tisch, ein sorgfältig sortiertes Büfett und wohl gelaunte Kellner. Wir bestellten uns Getränke, die Familie stieß mit einem Glas Sekt zur Feier des Tages an, ohne sich wie gewohnt daran zu stoßen, dass ich und meine Frau dem "Brauch" mit Cola frönten und begannen mit dem Plündern des Büfetts Meine Frau begann mit einer Kürbissuppe und das Übel nahm seinen Lauf.
Die Suppe schmeckte seltsam und sie ließ mich kosten. Ich bemerkte sofort das Kribbeln auf meiner Zunge, jenes Kribbeln das ich bekomme, ihr ahnt es bestimmt schon, wenn Alkohol im Essen enthalten ist (die Suppe schmeckte allerdings nicht nur deshalb seltsam, nur als kleine Randbemerkung). Auf Anfrage beim Kellner, in welchem Gericht denn überall Alkohol sei, sagte er nach Rücksprache mit dem Koch, dass in jedem Essen Alkohol sei, dies aber doch nicht so schlimm ist, da ja dieser komplett verkocht wäre. Ja ja, dachte ich mir und habe ihn erstmal in dem Glauben gelassen, da ich mich erstmal mit meiner Frau bereden musste, was wir jetzt tun. Zudem wäre eine Ausführung meines Wissens über Alkohol im Essen zu zeitaufwendig gewesen und hätte die Feier womöglich gesprengt. Das wollte ich aus Respekt meinem Vater gegenüber nicht tun.
Nun aßen wir ein bisschen von dem ganzen kontaminiertem Essen, wir hatten ja auch Hunger, aber so richtig glücklich waren wir, wen wunderts, nicht mit der Situation. Als ich später, kurz vor dem Gehen, dem Kellner meine Visitenkarte gab und sagte er soll diese doch mal dem Koch geben, damit er sich vielleicht mal schlau macht, wie sich das mit dem Alkohol im Essen verhält, bleibt der Kellner immer noch bei seiner Meinung und versprach allerdings die Karte weiterzugeben. Ich meine, auf der Karte steht in großen Lettern "Alkoholfrei-leben.com" und das zeugt doch zumindest ein wenig, dass ich etwas Ahnung von dem Thema habe. Aber was soll ich machen, es ist halt die totale Ignoranz.

Ich weiß es einzuordnen und viele von euch auch, aber es gibt da auch Kinder, die dort essen und deren Eltern nicht darauf achten, weil die genauso unwissend sind. Ist es nicht wenigstens in der Verantwortung des Kochs? Schließlich ist er ja vom Fach, sollte man meinen. Meine Frau und ich haben das Erlebte für uns verarbeitet, aber man sieht, man muss immer auf der Hut sein. Bleibt wachsam und lasst euch nicht kleinkriegen.

René Pietzsch

Grenzerfahrung

Nun ist der Punkt gekommen. Ich sah mich der Situation gegenüber, in der ich einem Rückfall, Auge in Auge, sehr
nahe stand. Ich war dermaßen erschrocken, dass ich mich nur mit großer Mühe wieder runterfahren konnte.

Was passierte mir da:

Ich sah mich bei der Arbeit einer Kundschaft, bzw. einem Mann mit seiner Partnerin, konfrontiert, die mit ihrem Gegenüber sowas von verachtend, herablassend und besserwisserisch umgehen, dass es schon wehtut. Eine genaue Beschreibung zum „Tathergang“ werde ich hier nicht geben, da dies nichts zur Sache tut. Mir geht es um mich und meine Gefühle und die möchte ich mitteilen.

Nachdem ich mich nach einem Ortstermin bei den Beiden und zwei folgenden Telefonaten übel aufgeregt hatte und mir es nicht mehr gelang dies einfach als gegeben abzutun, war ich kurz wie in Trance und erlebte quasi einen Rückfall interaktiv.

Mir war plötzlich bewusst, dass mich solche Leute vor meiner mittlerweile schon sechseinhalb Jahren andauernden „Trockenzeit“ völlig aus der Fassung brachten. Der Unterschied zu damals, heute habe ich nicht zur Flasche gegriffen, zumindest nicht physisch. Das beängstigende heute war, dass ich in Gedanken nach dem Auflegen des Hörers, nach dem letzten Gespräch in die Schublade meines Schreibtisches ging, mir eine da versteckte Flasche Wein rausholte und diese wie in alten Zeiten bis zur Hälfte leerte. Verstörend an dieser „Vision“ war für mich, dass ich dies erlebte, als wäre es real gewesen. So allgegenwärtig, dass mir Angst wurde und ich mir überlege, wie nahe ich einem möglichen Rückfall stehe.

Das die Gefahr immer besteht wissen wir ja, aber sind wir uns dessen wirklich richtig bewusst? Ich beschäftige mich doch sehr intensiv mit der Problematik Alkoholabhängigkeit und allem was dazugehört. Durch meine Arbeit mit alkoholfrei-leben.com dachte ich, ich bin relativ stabil und kann mit gewissen Situationen umgehen. Wie kommt es, dass mir die Psyche so einen Streich spielt und dies auch noch so aussehen lässt, dass ich mich nach der fiktiven halben Flasche beruhigt fühle und danach so eine Art schlechtes Gewissen habe, obwohl ich genau weiß, dass ich immer noch clean bin?

Es gibt sicherlich eine Erklärung für die psychische Irritation und vielleicht finde ich irgendwann heraus, wie diese zustande kam. Jetzt und heute bin ich froh die Gewissheit zu haben, dass ich stabil genug bin, die Vision nicht wirklich real werden zu lassen. Nach meinem „Erwachen“ war mir doch gleich klar, dass Rückfall derzeit keine Option für mich ist. Doch Obacht ist trotzdem gegeben und das Thema Alkohol wird mich wohl für immer begleiten.
So verstörend und irritierend es für mich ist, bin ich den beiden Kunden auch dankbar für diese Situation. Mir wurden wieder meine Grenzen gezeigt und ich weiß, wo ich weiter an mir und meiner Krankheit arbeiten muss.

Passt auf euch auf!

René Pietzsch

 

Einblicke

 

Der folgende Artikel gibt einen kleinen Einblick in meine Geschichte und meine Motivation, warum ich mit alkoholfrei-leben.com begonnen habe. Genau so steht der Artikel auch im aktuellen Magazin "SuchtDruck" von der Sächsischen Landesstelle gegen die Suchtgefahren e.V.

 

Am Anfang dachte ich, die Entgiftung wäre der schwerste Schritt. Dann wäre ich weg vom Alkohol und bekäme alles wieder in den Griff. Nach dem Rückfall glaubte ich, die drei Monate Entwöhnung würden die schlimmste Zeit werden und ich könnte danach zufrieden leben. Ich dachte, ich könnte mein Leben neu ausrichten, müsste nicht mehr überlegen, wo ich meinen Alkohol verstecke, wo ich ihn mir besorgen kann, ohne dass es auffällt, und, vor allem, woher ich das Geld für den Kauf von Alkohol nehme.

Heute weiß ich, dass Alkoholgenuss und der Verzicht darauf für mein Leben eine viel größere Rolle spielen, als ich es mir je vorstellen konnte. Der Weg ist lang und endet nie, man muss am Ball bleiben. Obwohl ich seit 2009 keinen Tropfen mehr trinke, beschäftige ich mich immer noch sehr viel mit dem Thema. Warum? Um erfolgreich trocken zu bleiben, ist meine Devise: Du musst den Feind kennen, um ihn besiegen zu können.

Genau kann ich nicht sagen, seit wann ich den Alkohol brauchte. Ich weiß nur, dass der Alkohol schon immer eine wichtige Rolle in meinem Leben spielte. Nach den anfänglichen Erfahrungen in meiner Jugend, die wohl die meisten hatten, nahm er mit Beginn meiner Lehre seine Position ein und blieb. Ich lernte Koch und wurde in der ehemaligen DDR ohnehin schon viel getrunken, war es in dieser Branche extrem. Bei 20 Jahren im Beruf kann man sich vorstellen, welches Ausmaß der Alkoholkonsum nahm. Wenn dann, wie bei mir, noch Planlosigkeit im Leben und Hang zum nicht „Nein“ sagen können kommt, ist die Tendenz zur Sucht vorprogrammiert.

So dümpelte ich 20 Jahre mal mit mehr, mal mit weniger Alkoholkonsum durchs Leben. Ich verlor meine Familie, verlor viele Freunde und verlor vor allem meine Selbstachtung. Die ganzen Jahre wusste ich, dass bei mir alles schief läuft, aber mit meinem Betäubungsmittel kam mir dies nicht mehr so schlimm vor. Als ich dann aber nicht mehr ohne den Stoff arbeiten konnte und nur „mit“ zu Höchstleistungen auflaufen konnte, war es an der Zeit komplett abzustürzen und den Neuanfang zu wagen.

2008 stand eines schönen Abends, ohne jede Warnung und mit der Tür in die Wohnung fallend, meine damalige Hausverwalterin vor mir. In meiner von mit Flaschen zugestapelten Wohnung fragte sie mich unvorbereitet, ob ich nicht besser in eine Entgiftung gehen möchte. In meiner geistigen Umnachtung sagte ich einfach ja und war mir der Folgen noch gar nicht bewusst. Zum Glück kümmerte sie sich um mich und alles Weitere und mein neues Leben konnte beginnen. Die komplette Einsicht zur Abstinenz kam in der Entgiftung noch nicht, deshalb kam auch, was kommen musste. Ich hatte 2 Monate nach der Entlassung einen Rückfall. Den hatte aber auch meine Freundin, die ich während meines Aufenthalts in der Entgiftungsklinik kennenlernte und wir schafften es relativ schnell wieder vom Stoff loszukommen und gingen gemeinsam in eine Entwöhnungsklinik.

Heute sind wir nach wie vor „Trocken“ und auf dem guten Weg, es auch zu bleiben. Wir wissen, ein Restrisiko gibt es immer. Um trocken zu bleiben, beschäftigen wir uns viel mit dem Thema Alkohol und sind viel im Netz unterwegs, um uns dort unsere Informationen zusammenzutragen. Wir stellten fest, dass es sehr zeitintensiv ist, da zwar viel geschrieben ist, aber eben nicht kompakt genug. Hier kam die Idee zu meinem Projekt. Eine Webseite, die informiert und auf Seiten hinweist, die sich mit dem Thema Alkohol beschäftigen. Darüber hinaus nicht nur Informationen zu Alkohol und Sucht, sondern auch wie und wo man sich helfen lassen kann. Ich möchte mit meiner Webseite nach und nach eine Art Suchhilfe bieten, indem ich Artikel, Publikationen, Tipps zur Suche und bestenfalls Verlinkungen zu Webseiten zusammenfasse und online stelle, die möglichst umfassend das Problem des Alkoholmissbrauchs und der Alkoholabhängigkeit betreffen.

Die Zielgruppe sind aber nicht nur Alkoholiker (trocken oder nass) sondern auch deren Angehörige. Die sind schnell überfordert und wissen, ebenso wenig wie die Betroffenen, wie man richtig handelt. Meist sind sie überfordert und geraten schnell unbemerkt in die Co-Abhängigkeit.

 

René Pietzsch

 

Rückfall

 

Wenn ich den Begriff Rückfall lese oder höre, stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Ich will nicht rückfällig werden, möchte nicht mehr zurück in mein altes Leben. Anscheinend verbinde ich mit Rückfall ein Stück persönliches Versagen. Ich möchte nicht versagen und deshalb tue ich alles um nicht mehr rückfällig zu werden.

Lese ich jetzt meine ersten Zeilen, erschrecke ich über mich. Habe ich doch gelernt, (während meiner Therapie, in Lehrgängen und Fortbildungen, in Büchern) dass ein Rückfall zur „Abstinenzentwicklung“ dazu gehört.

Rückfälle sollen eher der Normalfall sein. Und dann lese ich auch noch irgendwo: „Rückfall als Chance“.

Aus heutiger Sicht kann ich damit schon was anfangen, doch mein Trinken ist schon etliche Jahre her und ich habe Abstand zu dem Thema, kann es sachlich betrachten und bin nicht mehr so stark emotional damit verbunden. Ich frage mich aber, wie ging es mir damals, als ich mal wieder eine Trinkpause beendet habe und genau wusste: „Jetzt beginnt wieder die Abwärtsspirale“ und sie endet erst wieder im Krankenhaus, denn einen Kalt-Entzug konnte ich nicht mehr riskieren. Krampfanfälle hatte ich schon erlebt. Es begann mit dem Gedanken: „Wie blöd bin ich eigentlich? Ich Idiot. Jetzt trinke ich wieder und weiß doch genau, dass ich es nicht sollte. Schaffe ich es überhaupt irgendwann mal den endgültigen Absprung zu machen“? Schuld- und Schamgefühle, Eheprobleme, Antriebslosigkeit, Verlust meines Selbstbewusstseins, Kontrollverlust und Ängste sind nur einige der Konsequenzen die ich tragen durfte.

 

Wie habe ich es nun hinbekommen 19 Jahre nichts zu trinken und damit auch noch zufrieden zu sein?

Mir hat damals, 1996 während meiner stationären Therapie, ein Hinweis meines Therapeuten geholfen: „Sie könnten tun und lassen in ihrem Leben was sie wollen. Sie sollten sich nur vorher fragen ob sie bereit sind die Konsequenzen ihres Denkens und Handelns zu tragen“. Für mich bedeutete das: Ich darf Trinken. Niemand kann es mir verbieten. Aber will ich das denn überhaupt noch? Nein, ich wollte nicht mehr. Deshalb war ich ja in Therapie. Momentmal, dachte ich, dann brauche ich ja nur das tun was ich will, nämlich nicht mehr trinken. Ne, das ist zu einfach. So einfach kann es nicht sein. Ich misstraute meinen Gedanken. Dennoch fühlte sich der Gedanke schön und gut und stimmig an. Bis dahin war das Nichttrinken für mich ein Kampf, Anstrengung und schwer. Hatte ich doch meistens auf die Anderen Leute in meiner Umgebung geschaut. Die können Trinken und wieder aufhören. Warum ich nicht? Ich will auch so sein wie Die. Ich will zu denen gehören die das können.

 

Abstinenz bestand für mich aus: Rückzug vom gesellschaftlichen Leben (Geburtstagsfeiern nicht besuchen, weil zu gefährlich), Abwehr der Trinkgedanken, Abwehr der Angebote zum Trinken. Ich war also ständig damit beschäftigt mich gegen den Alkohol und die Versuchung zu wehren, habe viel Energie darauf verwendet. Da blieb kaum mehr Energie über um mich an den Vorteilen der Abstinenz zu erfreuen (Klarer Kopf, körperliche Gesundung, die Ehe lief besser, beim Job gab es weniger Probleme, meinen Kindern konnte ich ein guter Vater sein, mein Selbstbewusstsein wurde gestärkt).  Ich meinte mich wieder im Griff zu haben, wenn ich 2 oder 3 Wochen abstinent war.

 

Ab dem Moment, wo ich es mir erlaubt habe zu Trinken (Ich darf ja, ich will nur nicht mehr), fühlte sich Abstinenz für mich leicht an. Schon fast zu leicht. Deshalb habe ich mich gut gefühlt mit meiner neuen Erkenntnis, doch zu euphorisch wollte ich nicht sein, damit ich nicht vor lauter Freude zum Glas greife. Während der Therapie und auch bei der Nachsorge war „Rückfall“ ein wichtiges Thema. Auch bei den qualifizierten Entgiftungen in Lüneburg wurden Rückfälle analysiert, aufgearbeitet. Aus dem Geschehen lernen, hieß es. Die Situation vor dem Trinken betrachten, sich fragen ob es nicht andere „Bewältigungsstrategien“ gegeben hätte. Situationen durchspielen. Bisher habe ich bei Stress und Überlastung am Arbeitsplatz meistens mit Trinken reagiert und mir dadurch zumindest vorübergehende „Erleichterung“ erhofft. Bisher.

 

Wie kann ich nun in Zukunft mit Stress und Überlastung am Arbeitsplatz umgehen?

 

Mit dem Vorgesetzten reden um Veränderung im Arbeitsprozess zu schaffen, damit weniger Belastung erreicht wird, zum Beispiel. Also im Vorfeld die Gründe für das „Trinken wollen“ erst gar nicht entstehen lassen. Häufig scheitert das aber schon am fehlenden Selbstbewusstsein gegenüber dem Vorgesetzten. Der Betroffene ist in sich und seinem Denk-und Verhaltensmuster gefangen. Eine andere Alternative wäre: Sich in der Freizeit einen Ausgleich, ein Gegengewicht zur Arbeit schaffen und erhalten. Regelmäßiger Sport, ein interessantes Hobby, aktiv im Verein tätig sein, eine ehrenamtliche Tätigkeit die einen erfüllt. Das ändert aber immer noch nichts an dem Grundproblem: falscher Umgang mit Stress und Überlastung. Daran gilt es zu arbeiten um die Wahrscheinlichkeit des Trinken wollens zu verringern.

Was ist das Problem?   Dass ich bei Stress überfordert bin und dringend Entspannung suche, meistens durch Alkohol.

Was ist die Ursache des Problems?   Dass ich bisher noch keine Alternative gefunden habe um anders damit umzugehen.

Was für Lösungsmöglichkeiten gibt es?   Ich bespreche das in meiner Selbsthilfegruppe oder mit einem Freund/Freundin.

Ich hole mir Ratschläge von trockenen Alkoholkern. Ich lese mich Schlau, welche Angebote an Entspannungstechniken es in meiner Umgebung gibt.

 

Was für Möglichkeiten gibt es von Seiten der Krankenkassen? Welche Lösungsmöglichkeit wähle ich: Ich entscheide ob und welche Möglichkeiten ich nutzen werde um meine „Bewältigungskapazitäten“ zu erweitern.

Ich bin also immer derjenige der entscheidet. Somit bin ich auch der, der bestimmt ob sich etwas zu bisher ändert. Diese Entscheidung nimmt mir niemand ab. Die muss ich schon selber treffen. Ich habe immer die Möglichkeit mich für „Weiter so“ oder „Ich will was ändern“ zu entscheiden. Das ist meine Freiheit!

Um einem Rückfall vorzubeugen könnte ich jetzt einiges aufzählen:

 

Im Affektfall:

 

  • sofortiger Ortswechsel ( weg von der Party, Supermarkt, Tankstelle)
  • sofort mit einer Vertrauensperson telefonieren oder persönlich sprechen
  • Nicht alleine bleiben
  • Adrenalinaufbau durch Bewegung abbauen (Putzen, Sport,....)
  • viel trinken (Wasser z.B. um das Durstgefühl auszuschalten)
  • kalt Duschen
  • Zähne putzen
  • Orte aufsuchen an denen man sich wohl fühlt (Wald, Park...)
  • Ablenkung suchen (spazieren gehen, Fahrrad fahren, handwerkliche Tätigkeiten, schreiben, malen)

 

Grundsätzlich Vorbeugend hilft:

 

  • Alkoholfreie Zone zu Hause
  • ein soziales Netzwerk aufbauen
  • eine Selbsthilfegruppe besuchen
  • über Sorgen und Probleme reden
  • Ziele vor Augen führen (Beziehung wieder verbessern, Führerschein wieder erlangen,
  • Geld sparen und damit etwas kaufen.
  • Belohnung für das Erreichte (kurzfristige kleine Belohnung für sich selbst. Essen gehen, Kleidung kaufen, Shoppen gehen, Wellness)
  • Eine Liste der Konsequenzen eines Rückfalls anfertigen und sichtbar aufhängen
  • Liste von Zielen erstellen und sichtbar aufhängen
  • Liste mit Schlagworten oder Leitsätzen aufhängen: z.B. „In der Mitte der Nacht beginnt ein neuer Tag“ „Der Weg ist das Ziel“ „Alkohol löst mein Problem nicht“
  • „Es ist einfacher jetzt „Nein“ zu sagen, als später wieder aufzuhören.
  • Wichtige Telefonnummern bei sich tragen
  • Bilder von Menschen die mir wichtig sind aufhängen oder bei sich tragen.

 

Grundsätzlich habe ich für mich erkannt: Ich kann einem Rückfall vorbeugen in dem ich Achtsam bleibe gegenüber den Gefahren und alten Mustern.

 

Das so genannte „Suchtgedächtnis“ wird weiter in mir schlummern und sich vielleicht wieder aktivieren wenn ich „Unbewusst“ werde. Dinge also einfach hinnehme, aufhöre für mich und mein Wohlergehen zu sorgen, es als selbstverständlich hinnehme dass ich nicht mehr trinke, nachlässig werde gegenüber Risikosituationen.

Dem Unbewussten kann ich aber etwas entgegensetzen. Nämlich das „Bewusste“.

 

  • Regelmäßige Besuche einer Selbsthilfegruppe
  • Akzeptieren dass ich mit Alkohol nicht vernünftig umgehen „kann“
  • Sich bewusst sein: „Mein Leben funktioniert nur ohne Alkohol“

 

Die Konsequenzen wären.......

 

  • Bin ich bereit die Konsequenzen zu tragen?
  • Ich möchte mich nicht mehr Hilflos und Wehrlos gegenüber dem Alkohol fühlen.
  • Meine Macht ist es, dem Alkohol keine Macht mehr über mich zu geben.
  • Keinen Alkohol trinken ist Normal, es gibt keinen wirklichen Grund zu Trinken
  • Für mich ist es etwas ganz besonders Wertvolles, dass ich nicht mehr trinke.
  • Ich bin Stolz darauf meine Sucht überwunden zu haben
  • Ich bin Stolz darauf mich überwunden zu haben!

 

Zum Abschluss möchte ich noch ein Zitat von Albert Schweitzer loswerden.

„Das Heil der Welt besteht nicht in neuen Maßnahmen, sondern in neuen Gesinnungen“

Eine veränderte Grundhaltung, ein neuer Blickwinkel gegenüber meinem Suchtmittel und meinem Suchtverhalten ist notwendig um eine dauerhafte und zufriedene Abstinenz zu leben.


Anton Erhart